Über Social-Distancing zur starken Place Brand

Was macht Place Brands (Regionen- und Stadt-Marken) wie Silicon Valley, Bali, München, Paris oder Las Vegas so attraktiv? Sie erzeugen klare Vorstellungsbilder in den Köpfen der Konsumentinnen und Konsumentinnen und sorgen für eine klare Handlungsneigung (z.B. Intention dort zu leben, ein Unternehmen zu gründen oder Urlaub zu machen).

Doch wie kann das bei so komplexen Marken, mit so vielen verschiedenen Stakeholdern (z.B. Bürger*innen; Politik, Unternehmen, Vereine, Sozialverbände, Kammern, Hochschulen, Medienhäusern), gelingen? Inwiefern profitieren all diese Stakeholder von einer starken Place Brand? Und warum ist genau jetzt der richtige Moment für den Startschuss von Place Branding-Initiativen? Der Beantwortung dieser Fragen gehen wir in diesem Blog-Beitrag nach.

Warum liegt genau in der Krise eine große Chance für den Aufbau erfolgreicher Place Brands?

In der Krise kommen Menschen zusammen – und das schon immer, denn in der Gruppe finden wir Schutz und Geborgenheit. Das kennen wir nicht nur aus dem Tierreich, wo sich beispielsweise Gnus und Zebras zu Herdenverbunden zusammenschließen, um u.a. vor Fressfeinden Schutz zu finden. Dies kommt der Bedeutung einer Festung nahe, in der sich Menschen gemeinsam einschlossen, um sich vor Angreifern zu schützen. Die #CoronaKrise2020 bringt ein ganz neues Phänomen auf die Agenda: Social Distancing wird zur Abwehrstrategie – also ein Anti-Herden-Verhalten auf den ersten Blick. Schauen wir genauer hin, bemerken wir aber Erstaunliches: Wir kommunizieren häufiger und intensiver, reden über Gemeinsamkeiten anstatt über Unterschiede. Krisen schweißen zusammen – auch und vor allem wegen der als unangenehm empfundenen Distanz zu unserer Herde. Durch die Kommunikation reduzieren wir die wahrgenommene Distanz und erzeugen so das sichere Herdengefühl. Und wie so vieles in der menschlichen Psyche, ist es die Wahrnehmung und nicht das Tatsächliche, das entscheidet.

Die Offenheit, über Gemeinsamkeiten reden zu wollen, sich gegenseitig zu schützen, das Bedürfnis, sich selbst als Teil eines größeren und damit sicheren Ganzen sehen zu wollen, ist die große Chance einer jeden Krise. Und vor allem für Place Brands kann das von Vorteil sein. Denn die Stakeholder starker Place Brands ziehen unter diesen Voraussetzungen gemeinschaftlich an einem Strang, arbeiten zusammen daran, eine gemeinsam verstandene Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Krise bringt die Stakeholder zusammen an einen (aktuell: virtuellen) Tisch. Gepaart mit der Offenheit gegenüber Veränderung, weil die Notwendigkeit des Handelns erkannt wird sowie dem Erkennen der Gemeinsamkeiten, kann daraus ein ganz neues Wir-Gefühl entstehen. Aus der Sozialpsychologie kennen wir die (empirisch nachgewiesenen) Theorie der Sozialen Identität von Tajfel zu den In- und Out-Groups, die genau diesen Vorgang bestätigt. Die Grenzen der Eigengruppe (In-Group; z.B. „mein Unternehmen“) lösen sich durch das Arbeiten an gemeinsamen Zielen auf, eine größere Eigengruppe („unsere Place Brand“) entsteht. Es ist dasselbe Prinzip wie bei den Zebras und den Gnus (siehe oben).

Durch die erhöhte Kooperationsbereitschaft und den Austausch erkennen die Beteiligten Gemeinsamkeiten, entwickeln so Sympathie und bauen Vertrauen auf. Da nun miteinander gesprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird, führt es zu einer Konvergenz von Meinungen, was sich – insofern dieser Prozess gut moderiert wird – in einer klaren gemeinsamen Vision abbilden lässt. Bei der Vision ist darauf zu achten, dass diese möglichst konkret, z.B. in Form von sprachlichen Bildern (Imagery) oder Geschichten, formuliert ist. Damit ist der Grundstein für eine starke Place Brand gelegt.

Was sind die wichtigen Schritte für Place Brands in der Krise?

Nachdem sich wichtige Stakeholder initiativ zusammengeschlossen und eine gemeinsame Vision für die Place Brand erarbeitet haben, gilt es, weitere, besonders relevante Stakeholder zur Teilnahme zu motivieren, die Vision offen zu diskutieren und final festzuzurren. Anschließend müssen stabile Prozesse etabliert werden, damit die Stakeholder auch nach der überstandenen Krise an die Gemeinschaft gebunden sind (bekannt ist das z.B. aus dem Change Management in der Phase des Refreezing). Diese festen Prozesse sollten sich insbesondere in technischen (digitalen) Lösungen manifestieren (z.B. eine gemeinsame Plattform, die den Austausch untereinander ermöglicht; an gemeinsame Termine erinnert; Erfolgsgeschichten, Kernbotschaften, Marketingmaterialien oder konkrete Empfehlungen für alle zugänglich macht).

Der Kommunikationsfluss zwischen den Stakeholdern und insbesondere der zur Bevölkerung der Place Brand muss sichergestellt werden. Eine Beteiligung am gemeinsamen Entwickeln der Place Brand sollte durch Soziale Medien, z.B. über einen merkfähigen und sinnstiftenden Hashtag, erleichtert werden. Den Medienunternehmen einer Place Brand kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu, da sie durch den offenen Diskurs zur Konvergenz von Meinungen beitragen und damit die Basis für ein gemeinschaftliches Verständnis der Place Brand und ihrer Vision sorgen.

Wie erzeugen Place Brands klare Vorstellungsbilder?

Wenn Sie an Glücksspiel denken, welche Stadt fällt Ihnen ein? Welche Region kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an den weltweiten Hotspot des technologischen Fortschritts denken? In welcher Stadt würden Sie einen (kitschigen) Heiratsantrag machen? Wo würden Sie eher Urlaub machen, wenn Ihnen der Sinn nach Erholung steht: Ballermann oder Bali? Wo würden Sie eher einen Job suchen: München oder Gelsenkirchen?

Starke Place Brands sind mit Bedürfnissen verknüpft und kommen uns in den Sinn, wenn ein bestimmtes Bedürfnis aktiviert wird (das ist gemeint, wenn Marketer von Brand Recall Awareness sprechen – nicht mit „Bekanntheit“ zu verwechseln). Starke Marken liefern auf diese Weise Orientierung und prägen unser Entscheidungsverhalten. In dieser Beziehung zumindest, sind sich Supermarktregale und Place Brands nicht so unähnlich. Marken ermöglichen diese Orientierungsfunktion, indem sie klare Vorstellungsbilder erzeugen (Siehe Beispielfragen oben). Dies macht Place Brands zu Sehnsuchtsorten, wenn wir bestimmte Bedürfnisse verspüren.

Bei Place Brands ist das besonders schwierig, da alle Stakeholder ihr Stück vom Kuchen abhaben und gleichberechtigt auftreten wollen. In der Metzgerei gilt häufig der Grundsatz: „Darf es noch ein bisschen mehr sein?“ So stellen sich viele Place Brands auf und verlieren damit an Klarheit, indem sie alles zeigen wollen, was sie anzubieten haben. Bei allen Stakeholdern muss zunächst Verständnis erzeugt werden, dass man sich auf wenige Kernbotschaften konzentrieren muss – die Vielfalt können die Zielgruppen entdecken, wenn sie vor Ort sind. Und sich von ihr positiv überraschen lassen. Der Place Brand muss es gelingen, eine verlässliche inhaltliche Klammer zu erschaffen, auf die sich alle verständigen können – ohne dabei austauschbar zu sein. Marketing mit Mut muss dann für ausdrucksstarke, erinnerungswürdige und wiedererkennbare Kommunikation sorgen.

Wie können alle Stakeholder von starken Place Brands profitieren?

Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Place Branding Prozessen, die durch eine Krise initiiert werden, ist der Glaube an die Vorteilhaftigkeit der Partizipation aller Stakeholder. Schon die frühen Experimente von Sherif & Sherif („Robbers Cave Study“) zeigen, welche Kraft entsteht, wenn Menschen gemeinsam für ein Ziel arbeiten, das eine konkrete Belohnung verspricht. Aus diesem Grund muss allen Beteiligten klar sein, welche Belohnung auf sie wartet.

Starke Place Brands ziehen Menschen an, die an dasselbe glauben, sich nach demselben sehnen. Seien es Touristen, Arbeitskräfte, Veranstalter, Gründer, Studierende oder Investoren. Je attraktiver eine Place Brand ist, für desto mehr dieser Menschen wird eine Place Brand zum Sehnsuchtsort. Der Place Branding Prozess zahlt im ersten Schritt zunächst auf konkrete Ziele ein. Beispielsweise kann ein bestimmter Wirtschaftszweig (z.B. Tourismus; Forschung) davon profitieren.

Da es sich bei Place Brands um komplexe Systeme (Netzwerke) handelt, geben diese Kernziele den Erfolg an andere weiter. Beispielsweise wachsen Angebot und Qualität von Freizeitaktivitäten, Dienstleistern und Einzelhandelsgeschäften etc., was die Place Brand wiederum attraktiv für andere Zielgruppen wie Arbeitnehmer oder Investoren macht. Letztlich profitieren also alle Stakeholder.

Dieser Artikel fokussiert auf den Place Branding Prozess in der Krise und kann deshalb (ebenso wie die nachfolgende Checkliste) nur einen Ausschnitt präsentieren – aus unserer Erfahrung gibt es keinen komplexeren Prozess bei der Markenführung, man könnte Bücher damit füllen.

Sie möchten eine starke Place Brand entwickeln?
Hier finden Sie eine Auswahl der wichtigsten Punkte, die Sie in Ihrem Vorhaben berücksichtigen sollten.

Checkliste (Auswahl) für den Aufbau erfolgreicher Place Brands:

  • Haben Sie alle relevanten Stakeholder – von Einzelpersonen (z.B. Kulturschaffende; Politiker) bis hin zu größeren Organisationen – Ihrer Place Brand identifiziert?
  • Welches sind relevante Marken, die auf Ihre Place Brand einzahlen ( 1) größere Regionenmarken, die Ihre Place Brand umschließen - z.B. Oberfranken für Bamberg, Bayern für Oberfranken und 2) ein Teil Ihrer Marke sind - z.B. Genussregion Oberfranken; Bier- und Burgenstraße; Fränkische Schweiz; Metropolregion Nürnberg)?
  • Welche historischen Ereignisse und Persönlichkeiten haben Ihre Place Brand entscheidend geprägt?
  • Wie macht sich diese Prägung noch heute bemerkbar (z.B. im Wesen der Bevölkerung; Veranstaltungen; Gebäuden)?
  • Welche Veranstaltungen sind besonderer Ausdruck der Kultur Ihrer Place Brand?
  • Welche Veranstaltungen sorgen für die kulturelle Vielfalt Ihrer Place Brand?
  • Welche Branchen haben Ihre Place Brand in der Vergangenheit geprägt, welche sind aktuell und zukünftig besonders relevant?
  • Welche Schwerpunkte setzen ggf. ansässige Hochschulen in Forschung und Lehre?
  • Welche Besonderheiten bieten geografische Lage (z.B. Nähe zu anderen Place Brands und Freizeitaktivitäten) und Beschaffenheit Ihrer Place Brand (z.B. bergige Landschaft, Nähe zum Meer)?
  • Welche besonderen Gebäude prägen das Erscheinungsbild Ihrer Place Brand (z.B. Festspielhügel in Bayreuth)?
  • Welche Gebäude oder Orte sind Ausdruck der gelebten Kultur Ihrer Place Brand (z.B. Sandstraße in Bamberg)?
  • Welche Marken (i.w.S. wie Unternehmen; Persönlichkeiten; Veranstaltungen; Produkte) Ihrer Place Brand genießen überregionale Bekanntheit?
  • Ist die gemeinsame Vision sprachlich konkret (in vorstellbaren Bildern und Geschichten) formuliert?
  • Ist die Vision in klare, einfach zu kommunizierende Kernbotschaften übersetzt?
  • Gibt es verbindliche Zusagen über Höhe und Herkunft von Budgets für den Place Branding Prozess?
  • Sind klare, messbare Ziele für Kontrolle und Steuerung des Place Branding-Prozesses in den verschiedenen Phasen definiert?
  • Haben Sie die technischen (digitalen) Voraussetzungen, um alle Stakeholder gezielt anzusprechen und konstant in den Place Branding-Prozess zu integrieren?
  • Sind gemeinsame Termine langfristig abgestimmt und die Teilnahme aller relevanter Stakeholder gesichert?
  • Ist der Markenführungsprozess institutionalisiert und damit nicht abhängig von Einzelpersonen?
  • Gibt es eine für alle Stakeholder zugängliche Form der Wissenssicherung und Fortschrittskontrolle?

Für alle, die noch mehr über Place Branding wissen möchten, sei unser Beitrag „Die Kulturikone Richard Wagner als Testimonial der Marke Bayreuth: eine Marketingperspektive.“ (Germelmann und Neder (2017)) empfohlen.
Erschienen in „Music Theater as Global Culture : Wagner's Legacy Today.“

Mehr Beiträge aus dem Blog zu den Themen: